Ich hatte mich schon gefragt, wann ein ähnlicher Thread endlich angerissen wird.

Nachdem die Frequenz (und zT auch die Qualität) der Beiträge hier in den letzten Tagen/Wochen gelitten hat, mache ich mich mal anheischig, ein paar Denkanstöße zu geben.
Mercundus, du fragst, wie man potenzielle Interessen an das Spiel binden kann. Ich denke mir, wenn eine Spielergruppe schon so weit ist, die potenziellen Interessenten identifiziert zu haben, hat sie zu 80% gewonnen.
V:TES bietet für einen Neuling eine erstaunliche Anzahl an Einstiegsbarrieren, als da wären:
- Das Spiel ist englisch. Das mag für unsereinen eine Trivialität sein, aber dieser Umstand schränkt den Kreis der Interessenten schon erheblich ein. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass es in den unterschiedlichsten Sprachen erhältlich ist. Leute die nicht (ausreichend gut) Englisch können, sind von diesem Spiel praktisch ausgeschlossen, sofern sie nicht eine gewaltige Energieleistung bringen.
- Die Regeln sind verhältnismäßig komplex. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass man je nach Gusto ein einfaches Basisspiel mit einfachen Regeln oder ein anspruchsvolles Turnierspiel mit einer großen Anzahl an regeltechnischen Facetten spielen kann. Nicht umsonst ist das VTES-Regelbuch so umfangreich wie es derzeit ist und die unzähligen Ausnahmen, erratierten Karten etc. tragen ihr übriges dazu bei, dass man in den ersten Partien üblicherwiese nicht spielt, sondern eher von den Karten gespielt wird. Zwar macht diese Komplexität auch einen wesentlichen Teil der strategischen und taktischen Tiefe des Spiels aus, aber für einen Anfänger ist es definitiv kein Spiel zum entspannen.
- Der Zeitbedarf zum Spielen ist überdurchschnittlich hoch. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass man ein einer einstündigen Mittagspause einige Partien spielen kann. Als meine Spielgruppe damals mit VTES angefangen hat, haben wir in der Zeit von 20:00 Uhr bis 23:00 Uhr ungefähr eine halbe Partie gespielt. Erst nach über einem Monat waren wir so weit, an einem Abend zumindest ein Spiel zu schaffen. Das schreckt etliche Leute ab, denn so viel Sitzfleisch haben nur Leute, die lang andauernde Spiele lieben.
- Damit V:TES Spaß macht, benötigt man vier bis fünf Spieler. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass man es prima zu zweit spielen kann. V:TES ist zu zweit ungefähr so unterhaltsam wie einem Eimer Innendispersion beim Eintrocknen zuzusehen. Auch zu dritt lassen sich viele Strategien nicht effektiv umsetzen bzw. werden bestimmte Decktypen zu stark bevorzugt. Das macht VTES zu einem Spiel für "spezielle Anlässe und Gegebenheiten", die man nicht überall vorfindet.
- Das Spiel ist nur schwer erhältlich. Sucht bzw. fragt man nach VTES in einem durchschnittlichen Laden, erhält man üblicherweise nur ein Kopfschütteln als Antwort. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass man die Karten an jeder Straßenecke erhält. Im Falle von VTES bleibt nur der Weg über den Versandhandel und wie Johannes schon ausgeführt hat, ist es gelegentlich sogar schwierig, beim deutschen Vertrieb auch nur die in-print-Editionen in angemessener Zeit zu erhalten.
- Dark Fantasy ist und bleibt eine Nische, die nicht jedermanns Sache ist. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass es den HdR-kompatiblen Fantasy-Mainstream repräsentiert und daher prinzipiell für jeden interessant ist, der Elfen und Orks cool findet. Blut saugende Vampire sind dagegen die Exoten unter den Fantasy-Kreaturen und halt nicht für jeden attraktiv genug.
- VTES hat einen Bekanntheitsgrad, der kaum über der Wahrnehmungsschwelle liegt. Ein Teil des Erfolges von MTG ist IMHO darauf zurückzuführen, dass man beim Schlendern durch Buch-, Comic-, und Spielwarenläden fast zwangsläufig darüber stolpert. In den USA gab (gibt?) es sogar TV-Webespots dafür. Doch wie erfährt ein potenzieller Interessent von VTES? Im wesentlichen nur, indem er entweder zufällig auf der WW-Site darauf stößt (vielleicht weil er WoD-RPGs spielt), er einen Spieler oder gar einen Prinzen kennt oder er bei einem Demo-Event auf einem Con zufällig anwesend ist.
Für einen dieser potenziellen Interessenten ist in der Regel viel Eigeninitiative nötig, damit er Zugang zu einer Runde findet. Der durchschnittliche Anfänger muss
- überhaupt von dem Spiel erfahren,
- sich nicht durch viel Kopfschütten der Händler abschrecken lassen, sondern sich aus dem Netz Karten bestellen,
- sich umhören, wo in seiner Umgebung überhaupt gespielt wird,
- den Namen der verantwortlichen Person (lies: des Prinzen - wobei er erstmal in Erfahrung bringen muss, dass VTES überhaupt dieses drei Mal verfluchte Prinzensystem hat) irgendwie herausfinden und von sich aus kontaktieren und
- eine Einladung für die Spielrunde - oftmals in einer Privatwohnung - erhalten und dort erscheinen.
Dann und erst dann stellt sich die Frage, wie man solche Leute an das Spiel binden kann, ohne dass sie schnell wieder das Handtuch werfen.
Und wenn ich dann im österreichischen Forum lese, dass sich der eine oder andere Wiener Spieler weigert, mit Anfängern zu spielen, dann kommt mir mein Abendessen hoch (und noch mehr).
In diesem Zusammenhang ist es IMHO auch diskussionswürdig, wo die Verantwortung der Prinzen bezüglich der Erhaltung bzw. Verbreiterung der Spielerbasis aufhört und wo WWs Verantwortung beginnt.
IMHO ist der Prinz der "information broker" einer Region (durch die Mitgliedschaft in der Conclave), derjenige der Turniere und gelegentliche Demos organisiert und als figurehead einer Domäne in der WW-Datenbank herhält.
Der Prinz ist nicht und kann niemals dafür verantwortlich sein, ob es in einer Region das Produkt VTES zu kaufen gibt oder nicht. Der Hineinverkauf in die Läden ist letztendlich eindeutig die Aufgabe von White Wolf, denn diese Firma besitzt eine Marketing-Abteilung, in der Leute eben dafür bezahlt werden. Klarerweise kann WW keine Unsummen in die Promotion von VTES investieren, aber was WW diesbezüglich aufführt, ist wirklich erbärmlich.
Anlässlich der EM in Heidelberg habe ich auf Steve Wieck einen halben Abend lang eingeredet, dass sich WW einen strategischen Partner für den europäischen Vertrieb suchen soll, der den hiesigen Markt kennt, das Produkt ins Sortiment nimmt und den Hineinverkauf (auch in große Ketten) ankurbelt. Er hielt dies damals für eine "brilliant idea", passiert ist in diesem Jahr leider nichts.
Es gibt wunderbare Storyline-Events, eine erkleckliche Anzahl schön organisierter Events etc., die aber leider nur den erfahrenen Spieler ansprechen, aber für die Verbreiterung der Spielerbasis nur einen marginalen Beitrag leisten. Das Kernproblem bleibt unangetastet: Regionen trocknen aus, weil kein Produkt erhältlich und die Spielerbasis daher so klein ist, dass oft der Wegfall von einer oder zwei Personen ausreicht, um eine Spielrunde zu kippen. Neue Spieler kommen nicht dazu, weil sie das Spiel niemals kennen lernen und von denjenigen die es kennen lernen, bleiben viele nicht längerfristig dabei, weil die Einstiegsbarrieren so hoch sind.
Walch & Nusser leisten gemeinsam mit ihren Helfern einen Beitrag für das Spiel, der gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Aber es sind halt auch nur zwei Menschen, die einem Brotberuf nachgehen müssen und keine Eier legenden Wollmilchschweinderln. Und wenn sogar der Johannes klagt, dass WW organisatorisch eine Katastrope ist - wobei wahrscheinlich kaum einer aus Europa einen derart direkten Draht nach Übersee haben dürfte -, dann prognostiziere ich eine sehr schwere Zeit für das Spiel.
Wenn hier das Phänomen Bologna angesprochen wird, dann erkennt man dort klare Strukturen, die einen derartigen Erfolg möglich machen: Starker Shop-support, ein fähiger Prinz und ein "Basislager", das keine Wünsche offen lässt. Dazu noch eine Unmenge an Zeit, die der Prinz unentgeltlich für das Spiel geopfert hat.
Was das Spiel braucht, ist ein Produzent, der seinen Fokus von den Prinzen auf die Läden verlagert. Ansonsten wird das ohnehin geringe Kundenpotenzial niemals ausgeschöpft.
Es gibt viel zu tun, White Wolf!